DIGITALE ANSÄTZE IN DER QUARTIERSENTWICKLUNG

„WERDE TEIL DER COMMUNITY!“ - DIGITALE ANSÄTZE IN DER QUARTIERSENTWICKLUNG

Wenn man an Digitalisierung im Wohnbau denkt, kommen einem endlose Datenreihen und Entfremdung durch Cyberspace in den Sinn. Das Gegenteil ist der Fall. Digitale Anwendungen können auch Gemeinschaft und Komfort schaffen. Das geht soweit, dass dadurch die Marke des Quartiers gestärkt wird.

Je hochwertiger ein Quartier ist, desto höher ist die Bereitschaft, in digitale Komponenten zu investieren.

Dr. Chris Richter
Dr. Chris Richter
Geschäftsführer von Animus

Die Digitalisierung schreitet auch in der Wohnwirtschaft voran.
Was ist der Status quo bei Smart Home?

[Dr. Chris Richter: Smart Home wird immer öfter Teil der Projektentwicklungen. Je hochwertiger ein Quartier ist, desto höher ist die Bereitschaft, in digitale Komponenten zu investieren. Rollladen-, Licht- und Temperatursteuerung sowie Video-Türsprechanlagen sind inzwischen Standard. Will der Kunde jedoch sparen, ist die Sonderausstattung leider auch der Streichposten.]

Über welche Größenordnung reden wir?

[Dr. Richter: Als Richtwert ist bei einer 80-Quadratmeter- Wohnung als Minimum von etwa 3.000 bis 4.000 Euro auszugehen. Die Kosten sind in den letzten zwei Jahren dramatisch gefallen. Kleinere Unternehmen drängen in den Markt und bieten ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis.]

Worauf wird umgekehrt nicht verzichtet?

[Dr. Richter: Auf Komfort und Dienstleistungen. Mit einer zentralen Paketannahme schafft man zum Beispiel eine Komfortsituation für Logistiker wie auch für Mieter. Alle Pakete des Quartiers werden reibungslos angenommen, wenn sie der Bote in nur eine Anlage packt.]

[Udo Cordts-Sanzenbacher: Wir beobachten eine starke Tendenz zur Sharing Economy, was Ressourcen spart und letztendlich zu Skalierungseffekten führt. Beispielsweise können Lastenfahrräder oder Werkzeug geteilt werden. Das sind kleine USPs, über die sich Vermieter und Investoren eines Quartiers abheben können.]

Wie trägt Digitalisierung zur Nachhaltigkeit bei?

[Dr. Richter: Zum Beispiel müssen nach der EED-Reform die Messstellendienstleister ab 2027 zwölfmal im Jahr über den Stromverbrauch informieren. Erfolgt die Mitteilung digital, spart man eine Menge Ressourcen. Messdaten werden über Schnittstellen abgelesen und visualisiert. Die grafische Darstellung bewirkt, dass Mieter ihren Verbrauch kontrollieren und reduzieren. Wir beobachten einen regelrechten Wettbewerb der Bewohner über die Quartiers-App. Auch E-Learnings tragen dazu bei, Ressourcen zu sparen und Nebenkosten zu senken.]

Wer zahlt die Digitalisierung des Quartiers?

[Dr. Richter: Generell wird die Software vom Eigentümer gezahlt. Die Kosten liegen im Promillebereich. Digitalisierte Lösungen dienen im Verkaufsprozess vor allem aber als Argument, höhere Preise zu erzielen. Ein digitales Quartier – ganz gleich mit welchem Schwerpunkt – ist ein Alleinstellungsmerkmal, das im Markt positiv bewertet wird.]

Welche zusätzlichen Vorteile ergeben sich?

[Dr. Richter: Durch die Digitalisierung wissen Projektentwickler heute, was funktioniert und was nicht. Beispielsweise in Bezug auf die Aufteilung eines Neubauprojekts: Wie viele Interessenten gab es im Vorfeld für welche Wohnungsgrößen? Durch die Auswertungen konkretisiert sich auch, welche Gewerke funktionieren. Digital wird die gesamte Kaskade vom Asset Manager über das Property- und Facility Management bis hin zum Mieter dargestellt.]

[Cordts-Sanzenbacher: Mithilfe einer App gewinnt man auch Erkenntnisse über die Mieterzufriedenheit. Ein hohes Maß an Zufriedenheit heißt: weniger Fluktuation, höhere Cashflows und geringere Leerstandsrisiken für den Investor. Gleichzeitig kommen weiche Aspekte wie Nutzer-Screenings oder der Aufbau einer starken Marke hinzu.]

Ein digitales Quartier ist ein Alleinstellungsmerkmal, das im Markt positiv bewertet wird.

Dr. Chris Richter
Dr. Chris Richter
Geschäftsführer von Animus

Wie hoch ist der Anteil an digitalisierten Quartieren in Deutschland?

[Cordts-Sanzenbacher: Digitalisierung ist vorrangig in der Neubauentwicklung der vergangenen fünf bis zehn Jahre in den Gateway Cities anzutreffen. Noch nutzen viel zu wenig Asset- wie Property Manager die Chancen des vernetzten Wohnbaus – obwohl ökonomische, ökologische und soziale Aspekte dafürsprechen. Auch wenn es wenig Erhebungen dazu gibt, würde ich schätzen, dass der Anteil unter einem Prozent liegt. Hier gibt es ihn noch, den First Mover Advantage.]

Sie sprachen von starken Marken. Nennen Sie mir ein Beispiel?

[Dr. Richter: Ein tolles Beispiel ist die i Live-Gruppe, die mit ihren Studentenwohnheimen ganz stark auf den Gemeinschaftsaspekt abzielt. Nach dem Motto: Du bist Teil einer starken, nachhaltigen und unglaublich hippen Community. Die Nachfrage ist enorm, weil Menschen Teil dieser Lebenswelt sein wollen.]

[Cordts-Sanzenbacher: Dieses Beispiel zeigt sehr schön, dass Digitalisierung nicht automatisch Entfremdung bedeuten muss, sondern ganz im Gegenteil: Wenn Lucas aus Frankfurt, der gerne Rad fährt und sich vegan ernährt, zum Studieren nach Berlin kommt, kann er über eine solche Community ganz einfach Kontakt zu Gleichgesinnten knüpfen.]

BEST PRACTICE

Smartes Wohnquartier BelleRü

In Essen-Rüttenscheid entstand an der Veronikastraße das neue Wohnquartier BelleRü. Viel Grün und Kirschbäume zeichnen die Freiflächen zwischen den zwei- bis dreigeschossigen Mehrfamilienhäusern der Anlage aus. Vorwiegend weiße Putzfassaden und helle Klinkerflächen lassen das Quartier hierzu passend hell erstrahlen und unterstreichen den luftigen Charakter des Quartiersinneren.

Smartes Wohnquartier BelleRü in Essen

In einem aktuellen Projekt in Essen – BelleRü – haben wir erstmalig von Beginn an Smart-Home-Systeme integriert. Jeder Tiefgaragenstellplatz hat einen E-Car- Anschluss. Und über unsere App können die Bewohner auch Wäscheservices und Paketdienste über eine Servicestation in Anspruch nehmen. Diese Entwicklung soll in den nächsten Projekten natürlich so weitergehen.

Dr. Chris Richter

Existieren bereits Anwendungen mit Gesundheitsbezug, Stichwort „Corona“?

[Dr. Richter: Während des Lockdowns im Frühjahr wurde eine abgespeckte Version unserer App für hilfebedürftige Kunden angeboten. Neuanmeldungen und Nutzerfrequenzen schnellten um ca. 40 Prozent in die Höhe. Anwendungen für ältere Menschen werden aber generell stärker nachgefragt. So kann das komplette Leistungspaket der Johanniter über die Animus-App gebucht werden – von der Essenslieferung bis hin zur Pflege. Wir sprechen hier über einen stark wachsenden Markt durch eine alternde Gesellschaft.]

Was ist denn noch Zukunftsmusik?

[Dr. Richter: Der ganz große Wurf wäre ein Betreibermodell für Quartiere. Bislang existieren Einzellösungen, aber keiner traut sich an ein Gesamtkonzept heran, das alle Komponenten wie Energie, Mobilität oder Logistik zusammenfügt. Wer den Mut hat, sich einzuarbeiten und eine digitale Lösung anzubieten, wird ganz stark nach vorne gehen.]

Change Magazin 03

Dieser Artikel ist Teil des Change Magazins 03

[Change] Magazin: Erfahren Sie mehr über die dritte Ausgabe 

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